Die Schlange war klug by Peter Schfer;

Die Schlange war klug by Peter Schfer;

Autor:Peter Schfer;
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Religion: Allgemeines, Nachschlagewerke
Herausgeber: Verlag C.H. Beck
veröffentlicht: 2022-08-15T00:00:00+00:00


Lukrez: Materialistische Welterklärung

Der Philosoph und sein Lehrgedicht

Über Titus Lucretius Carus, den letzten großen Epikureer, der das weitgehend verlorene Werk seines längst gestorbenen Meisters in ihre bis heute gültige Form gegossen hat, ist so gut wie nichts bekannt. Er lebte in der ersten Hälfte des ersten Jahrhunderts v. Chr., geboren wahrscheinlich zwischen 99 und 94 und gestorben zwischen 55 und 53 v. Chr. Wir wissen nichts über seinen familiären Hintergrund; die Vermutungen der Forschung schwanken zwischen einer niedrigen Herkunft und der Abstammung aus einem angesehenen römischen Adelsgeschlecht. Sicher ist jedenfalls, dass alles, wofür er stand, den Idealen der römischen Republik mit ihrer Vaterlandsliebe, ihren politischen Ämtern, ihren Sitten und Gebräuchen, ihrer Verehrung der Götter und dem damit verbundenen Kult und nicht zuletzt auch ihrem Streben nach Ruhm und Reichtum diametral entgegengesetzt war.

Entsprechend verhalten war die Rezeption seiner Zeitgenossen. Cicero zitiert zwar ausgiebig Epikur, erwähnt aber Lukrez nicht. Es ist auch weniger der philosophische Inhalt seines Lehrgedichts De rerum natura («Über die Natur der Dinge»), der in der lateinischen Literatur Eindruck gemacht hat, als vielmehr seine literarische Form. Da es in vielen Fällen für die weiter entwickelte philosophische Terminologie in griechischer Sprache noch keine Entsprechungen im Lateinischen gab, musste Lukrez die adäquaten lateinischen Begriffe oft erst erfinden und diese dann in die neue Form des Lehrgedichts in Hexametern gießen, das sich an den altgriechischen Epen orientierte. Mit dieser neuen literarischen Form sollte Lukrez großen Einfluss auf die römische Lehrdichtung der augusteischen Zeit und darüber hinaus haben. Man denke etwa an Vergils Georgica («Vom Landbau») und sein Heldenepos Aeneis oder an Ovids Ars Amatoria («Liebeskunst») und seine Remedia Amoris («Heilmittel gegen die Liebe»).

Die frühen Christen betrachteten Lukrez, wie schon Epikur, als einen ihrer gefährlichsten Antipoden. Obwohl sie seinen politischen und sozialen Grundanschauungen in manchen Punkten nahestanden, verhinderte die christlich-theologische Lehre von dem einen Schöpfergott und vom Leben nach dem Tode jede Annäherung. Je mächtiger das Christentum politisch wurde, desto stärker wurde der Lukrez’sche Epikureismus herabgesetzt, polemisch verzerrt und schließlich erfolgreich marginalisiert. Den einzigen Hinweis auf Lukrez’ Leben und Rezeption finden wir ausgerechnet in einer Notiz des radikal-asketischen Kirchenvaters Hieronymus (347–420 n. Chr.), unter dessen geistlicher Aufsicht die junge Witwe Blaesilla in Rom ihren asketischen Übungen erlag – woraufhin Hieronymus zusammen mit seinen verbliebenen Bewunderinnen nach Palästina fliehen musste, um dort ein gottgeweihtes Leben zu führen.[35] Hieronymus übersetzte unter anderem die griechische Kirchengeschichte des christlichen Geschichtsschreibers Eusebius von Caesarea (260/64–339/40) ins Lateinische und ergänzte sie aufgrund verschiedener neuer Quellen bis ins Jahr 378. Zum Jahr 94 v. Chr. schreibt er:

Der Dichter Titus Lucretius wurde geboren, der sich mit eigener Hand in seinem vierundvierzigsten Lebensjahr tötete, nachdem ihn ein Liebestrank in Wahnsinn gestürzt und er in den Pausen seines Wahns mehrere Bücher geschrieben hatte, die später Cicero durchsah/herausgab (emendavit).[36]

Beide Informationen über das Leben und Werk des Lukrez sind äußerst zweifelhaft. Dass er sich selbst aus Liebeskummer umgebracht hätte, ist unwahrscheinlich und vermutlich eine christliche Legende, die ihn diskreditieren sollte. Und dass Cicero Lukrez’ Werke emendavit – was immer das heißt: die Bandbreite reicht von «kritisch



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